Mit White Card statt Sans Papiers

Wie priviligiert wir sind, erfahren wir nach Ausstellung der White Card.

In Bosnien, wie in anderen Ländern der Welt auch, müssen sich Ausländer*innen nach Einreise bei der örtlichen Polizei registrieren und ihren genauen Aufenthaltsort, Grund ihrer Anwesenheit und persönliche Daten angeben. Erst dann halten sie sich legal im Einreiseland auf.

Seit Freitag sind wir nun schon hier und waren bisher noch nicht im Besitz dieser Aufenthaltserlaubnis (White Card). Heute morgen dann endlich die Übergabe der weißen Karten an uns.

Erleichterung macht sich breit, wäre es doch sonst vermutlich viel schwieriger in Polizeikontrollen und evtl. könnte es auch zur erzwungenen Ausreise führen. Wir sitzen über dem wichtigen Dokument und freuen uns. Aber wieviel Aufwand und Bangen war es für uns im Vergleich zu den Menschen ohne Papiere (Sans Papiers) oder ohne die richtigen Papiere?

Wozu braucht es nationalstaatliche Papiere, Zugänge nur für priviligierte Menschen? Warum reicht nicht das reine Menschsein, vielleicht mit einem Dokument, dass eine*n als Weltenbürger*innen XYZ ausweist?

Was machen nationalstaatliche Grenzen mit uns? Welche Herrschaftsstrukturen und damit auch Ausgrenzungsstrukturen schaffen sie?

Es gibt ein Lied von Dota, dass mir in meinem Leben sehr wichtig geworden ist. Grenzen von Menschen achten, Grenzen zwischen Staaten einreißen:

Wer ist drin, wer ist draußen
Ich male eine Linie, du darfst nicht vorbei
Da trifft Luft auf Luft
Da trifft Land auf Land
Da trifft Haut auf Blei
Wo ist oben, wo ist unten
Wer könnte, wer wollte das ändern
Was geschieht in den Ländern
An ihren Rändern

Es gibt Frontex und Push-Backs
Zäune, Waffen, Flüchtlingsabwehrkonferenzen
Das Mittelmeer wird ein Massengrab
Es gibt Grenzen

Sie führen zu Nationalismus mit seinen bekloppten Konsequenzen
Man entrechtet Leute nur weil sie von irgendwoher kamen
Es gibt Grenzen

Ich melde mich ab
Ich will einen Pass wo Erdenbewohner drin steht
Einfach nur Erdenbewohner
Sag mir bitte wohin man da geht
Ich melde mich ab
Ich melde mich um
Es kann doch so schwierig nicht sein
Schreibt einfach nur Erdenbewohner da rein

Wir ziehen eine Grenze im Himmel
Ein Gott ist hier und einer ist dort
Dann drohen sie sich mit den Fäusten
In Ewigkeit und sofort
Da muss es was besseres geben
Frieden bringt kein Götterbote
Wir haben es ein paar tausend Jahre mit Grenzen versucht
Es gab sehr viele Tote

Nennt mich Naiv
Es ist mir egal aber ich finde es reicht
Ich suche das Land indem jeder dem Anderen in Staatsunangehörigkeit gleicht

Ich melde mich ab
Ich will einen Pass wo Erdenbewohner drin steht
Einfach nur Erdenbewohner
Sagt mir bitte wohin man da geht

Ich schließe die Tür und genieße die Stille
Ich grenze mich ab dass muss sein
Jeder hat seine Grenze die ihn umgibt
Sie schließt ihn schützend ein

Jeder Übergriff jeder Schlag
Verletzt ein Menschenrecht
Warum schützt man die Grenzen der Staaten so gut und die Grenzen der Menschen so schlecht?

Sie müssen nicht zwischen den Ländern verlaufen aber zwischen den Menschen
Nicht aus Stacheldraht sollen sie sein sondern aus Respekt
Es gibt Grenzen

Wer das Lied nachhören möchte: https://www.youtube.com/watch?v=r_2ranQG0hI

Veröffentlicht unter 2021

Corona

Bosnien Herzegowina ist Hochinzidenzgebiet und dass schon seit Monaten. (Seit heute, 17.5. nur noch Risikogebiet)

Eine freundliche Begrüßung beginnt hier im Kanton Una-Sana mit einem festen Handschlag. Gerne kommt man sich beim Beugen übers Handy näher. Die Menschen sind uns nahe, wie lange nicht mehr. Überall hängen Schilder, die zum Maskentragen verpflichten. Auf den Straßen, wenn es eng wird, und umsomehr in Innenräumen, wie Supermärkten und Büros. Aber keineR hält sich dran.

Gestern Abend wurde direkt neben unserer Unterkunft mit 30 Menschen eng an eng gefeiert. Corona gibt es eigentlich nicht. Doch dann von 23 bis 5 Uhr morgens ist Ausgangssperrre. Wer erwischt wird, zahlt 250€ Bußgeld. Wir fragen uns, was diese Ausgangssperre soll, wenn die restlichen 18 Stunden der Alltag wie gewohnt läuft, ohne Abstand und Masken.

Wir sind verunsichert. Wie sollen/wollen wir uns in der Öffentlichkeit bewegen? Wir würden gerne Maske tragen, aber als einzige mit Maske? Was sind die Signale davon? Wir als Ausländer*innen erleben euch Bosnierer*innen als Gefahr?

Wie hoch ist die Gefährdung für uns im öffentlichen Raum? Montag testen wir uns wieder. Das haben wir zweimal in der Woche mit hochwertigen Schnelltests geplant. Mal sehen, wie wir in 2 Wochen mit Corona umgehen werden.

Was klar für uns ist: Im direkten Kontakt mit People on the Move (PoM) werden wir Maske tragen, so wie die anderen medizinischen Helfer*innen hier auch. Die Flüchtenden selber haben kaum noch Zugang zu Masken, hier in der Region haben die NGOs keine medizinischen mehr für PoM und FFP 2 Masken schon gar nicht. Wir haben 800 medizinische Masken dabei, die wir in den nächsten Wochen gezielt verteilen werden.

Veröffentlicht unter 2021

Erste Orientierung

Gestern Abend sind wir in Bosnien angekommen, nachdem wir den ganzen Tag im Auto gesessen haben. Der größte Unsicherheitsfaktor der Reise war tatsächlich der PCR-Test. Und auch wenn das Ergebnis noch rechtzeitig kam: es gibt einige, auch juristische Gründe, von dem Anbieter am Leipziger Flughafen abzuraten.

„Erfreulicher“ waren unsere Grenzerfahrungen. An keiner Grenzen hatten wir Probleme. Außer, dass wir in den selben Schlangen warten mussten, wie alle anderen.

Unten im Tal ist unser Quartier

Den heutigen Tag haben wir genutzt, um einen ersten Eindruck vom Land, den Menschen und unserer Umgebung zu bekommen. Wir sind zu Fuß in das 6 Kilometer entfernte Velika Kladusa gelaufen. Dabei haben wir aus der Ferne die ersten „Unterkünfte“ von people on the move in alten Gebäuden gesehen. Und auch im Stadtbild von Velika Kladusa waren sie präsent. Wir konnten Bewegungsachsen und vor ein paar Geschäften „Ansammlungen“ beobachten.

Darüber hinaus hatten wir heute ein erstes Treffen mit einem Menschen von einer NGO aus Deutschland. Er hat uns einen Einblick in die Arbeit „seiner“ NGO und einen kleinen Überblick über die anderen NGOs vor Ort gegeben. Es scheint ein kleines, aber feines Netzwerk zu sein, das schon seit Monaten (Jahren?) in der Umgebung von Velika Kladusa einiges leistet.

Ein Ergebnis dieses Treffens ist, dass wir morgen Kontakt zu einer anderen NGO aufnehmen werden. Wahrscheinlich wird dieser Kontakt ein guter Schritt für uns sein, einen Platz zu finden, in dem wir unsere Fähig- und Fertigkeit einsetzen können – als Ergänzung zu den aktuellen NGO-Aktivitäten.

… es ist schon spät. Zweiter Tag und schon müssen wir uns um unser tägliches Zeitmanagement Gedanken machen.

Veröffentlicht unter 2021

Auf dem Weg

Heute mittag sind wir auf dem Weg durch Österreich. Unsere Abreise gestern ist reibungslos verlaufen. Viele Mails, sms oder Anrufe erreichten uns noch und wir fühlen uns von vielen Menschen begleitet. Auch freuen wir uns über eure Spenden, die uns die Arbeit erleichtern werden.

Den obligatorischen PCR Test haben wir gestern Mittag am Leipziger Flughafen abnehmen lassen. Leider stellte sich bei der Anmeldung heraus, dass die Professionalität nicht sehr hoch ist. So bangen wir um unsere Ergebnisse, da wir ja innerhalb von 48 Stunden nach Abnahme in Bosnien einreisen müssen und die Transitbestimmungen für Österreich, Slovenien und Kroatien sehr streng sind.

Gestern abend fiel uns der jährliche „Annual Torture Report 2020″ des Border Violence Monitoring Network“ in die Hände. 2017 haben wir mit der Dokumentation der Push Back Gates (kleine Tore im ungarischen Grenzzaun durch den illegale Ausweiungen stattfinden) eine kleinen Beitrag für diese Datenbank beigetragen, der bis heute dort hinterlegt ist. In dem Bericht gibt es einen Schwerpunkt zu Kroatien https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Croatia_Torture_2020.pdf und damit zu der Region, zu der wir uns zuerst aufmachen.

Veröffentlicht unter 2021

Das Jüngste ist 3 Monate alt…

Aktuellen Berichten von einheimischen Volunteers zufolge hat sich die Situation in Bosnien massiv verschärft. Der Una-Sana-Canton (der Landesteil zur EU-Außengrenze, Kroatien) sei auf den Kopf gestellt, so die Aussage von Sanela, die mit ihrem kleinen lokalen Rote-Kreuz-Team (siehe auch Blogbeitrag 14.01.2020) Tag und Nacht in Kljuc an der unsichtbaren innerbosnischen Grenze harte, ehrenamtliche Arbeit leistet, um dem Strom der Menschen on the move zu begegnen.

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Veröffentlicht unter 2020

“Freedom of Movement – is everybody’s right”

Vor gut einem Monat kamen wir in Bosnien an. Jetzt sind wir zurück, die europäische Grenze wie im Schlaf passiert, die so viele Menschen trennt zwischen Hoffnung und Gewalt, deren Überqueren so viel Leid bedeuten kann. Wir sind zurück in den sicheren vier Wänden, in der Wärme des hiesigen Wohnstandards. Jede*r empfand die Rückkehr etwas anders. Von Dankbarkeit in Frieden, Wärme, Freiheit und Sicherheit tagtäglich aufwachen zu dürfen bis hin zu dem Widerstand, die Eindrücke und Erzählungen nicht harmonisieren zu wollen mit der eigenen Erlebniswelt in Deutschland. Wir sind zurück, doch die unhaltbare Situation bleibt.

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Veröffentlicht unter 2020

Erfahrungsberichte und Erzählabende

Im Laufe der folgenden Wochen und Monate wird es mehrere Veranstaltungen geben, bei denen wir von unseren Erfahrungen berichten werden. Diese finden im Sauerland (Warstein), im Rheinland (Köln) und eventuell auch im Wendland statt.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

Erster Termin: 16. Februar in Warstein
Zweiter Termin (Terminänderung!!!): 27. Februar im AZ in Köln
möglicherweise noch ab April im Wendland: aktuelle Infos dazu folgen…

Veröffentlicht unter 2020

Rückkehr

Seit einer knappen Woche sind wir wieder zurück. Ich kann nicht für alle sprechen, aber mein Ankommen ist nicht nur leicht. In den letzten Tagen in Bosnien habe ich vier Interwiews mit People on the move geführt. Die dabei entstandenen Aufnahmen habe ich mir gerade das erste Mal angehört. Auf einmal war alles wieder sehr nah und ich habe mich hilflos gefühlt. Hilfloser, als während der ganzen Zeit in Bosnien. Dort konnte ich zumindest ganz lokal etwas tun. Wohin mit der Wut, über diese rassistische Welt? Wohin mit der Geschichte Bosniens, die mich nachhaltig berührt hat.

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Veröffentlicht unter 2020

Die Absteigen der Gestrandeten von Kladuša

Hier in Velika Kladuša leben ca. 40.000 Menschen (2013). Dazu kommen momentan ca. 800 Menschen im Geflüchetencamp und etwa ebenso viele, die in der Stadt verteilt in besetzten leerstehenden Häusern, Bauruinen. Der Versuch, ein bisschen von der unglaublichen Situation und Stimmung einzufangen, in der hier hunderte Menschen, oft nicht besser als die Straßenhunde, vor den Toren Europas hausen – eigentlich nur auf der Durchreise.

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Veröffentlicht unter 2020