Die Absteigen der Gestrandeten von Kladuša

Hier in Velika Kladuša leben ca. 40.000 Menschen (2013). Dazu kommen momentan ca. 800 Menschen im Geflüchetencamp und etwa ebenso viele, die in der Stadt verteilt in besetzten leerstehenden Häusern, Bauruinen. Der Versuch, ein bisschen von der unglaublichen Situation und Stimmung einzufangen, in der hier hunderte Menschen, oft nicht besser als die Straßenhunde, vor den Toren Europas hausen – eigentlich nur auf der Durchreise.

„stadium“
Das besetzte Haus (engl. Squat) war eins der ersten die wir besucht haben. Ich glaube es ist nicht übertrieben zusagen dass es für uns ein ziemlicher Schock war die Bedingungen dort zu sehen. Es gab keine Türen, kaum Fenster. Ganze Räume waren buchstäblich bis unter die Decke mit Müll vollgestopft. Nachts kamen die Hunde, um im Müll nach Essbaren zu suchen. Entsprechend viel Hundescheiße lag rum, und auch Menschen müssen irgendwohin kacken.. und natürlich gab es weder Strom noch Wasser. Die 25 Bewohner schliefen auf Matratzen auf dem Betonboden. Um nicht zu erfrieren, machten sie Feuer in den Räumen. Der Rauch war fast aushaltbarer als der Gestank. Vor 3 Wochen starb hier ein junger Mensch an einem Cocktail aus Beruhigungsmitteln und Kälte.

Wir installierten dort 2 Öfen, organisierten einen Müllcontainer und planten Türen zu bauen um die Hunde aussperren zu können.

Am Mittwoch wollten wir den Container in Empfang nehmen und zusammen mit den Bewohnern das Müllproblem angehen, doch dann passierte weswegen ich den Absatz in der Vergangenheitsform schreiben muss:

Anstatt des Containers kam am morgen gegen 7 Uhr die Polizei in das Haus und befahl den Bewohnern das Haus zu verlassen. Sie gaben Ihnen ein paar Minuten um ihr Hab und Gut zusammenzuraffen und als wir gegen 10 Uhr ankamen stand vorm Haus kein Container sondern ein Abrissbagger der sich durch das Haus wühlte. Wir waren fassungslos. Baten den Baggerfahrer darum, eine kurze Pause zu machen und holten die beiden Öfen aus der Ruine.

Danach suchten wir die Bewohner… und fanden sie auf der anderen Straßenseite hinter einem Haus. „Are you okay?“ „ Ich bin wütend, ich weiß nicht wo ich heute Abend schlafen soll und ich habe Hunger… hast du Zigaretten?“ Ich gehe Zigaretten und Frühstück in einer Pekara kaufen und wir essen und rauchen ohne viele Worte. Wir tauschen Nummern aus und wünschen uns alles Gute… Einige der 25 Menschen haben über den Tag neue Unterkünfte gefunden, andere werden draußen schlafen…

„doggy mountain“
Am Selben Tag fahren wir auf einen Hügel am Stadtrand. Die Häuser hier stehen weit auseinander. das Oberste, mit dem Wald im Rücken, ist ein Rohbau der von 10-12 Pakistani bewohnt wird. Sie haben die Erlaubnis des Eigentümers auf dem Dachboden zu wohnen, wo sie sich mit Folien einen Raum abgetrennt haben den sie mit einer zu einem Ofen umgebauten Gasflasche heizen.

Im Erdgeschoss brennt ein offenes Feuer, auf einem abgesägten Türblatt liegen Teigkugeln und ein Nudelholz. Brennholz holen sie aus dem Wald, sägen und spalten es vor dem Haus. Dort sprudelt auch ein Schlauch mit Bergwasser. Wir werden zum Essen eingeladen, es gibt frische Chapati, Spinat und Kartoffeln, nachher Chai.
„Als ich vor eineinhalb Jahren hier herkam dachte ich noch, ‚das ist doch kein Leben‘. Mittlerweile habe ich mich irgendwie dran gewöhnt.. finde es ganz okay.“
und
„Ich bin vor 7 Jahren aus Pakistan weggegangen wegen des Kaschmirkonflikts. Gerade denke ich darüber nach, wieder zurück zu gehen, weil der neue Präsident Imran Khan ein sehr guter Mensch ist und viel Gutes tut.“
und
„Ich bin jetzt 20 mal ins game gegangen. Einmal stand ich auf einem Hügel über Trieste. Keine 5 Kilometer vor der Grenze nach Italien haben Sie mich gefangen. Siehst du? (deutet auf die Narben in seinem Gesicht) Das hab ich von der kroatischen Grenzpolizei. Morgen werde ich es wieder versuchen.“

Izet
Izet ist Bosniak, hat 11 Jahre während des Jugoslawienkrieges in Deutschland gewohnt und arbeitet mittlerweile in Kroatien als Maurer. Oft ist er Monate lang nicht in seinem Haus am Rande von Velika Kladuša.

Eines Tages kommt er aus Kroatien zurück. Die Tür ist aufgebrochen und das Haus wird von 6 fremden Menschen bewohnt. „Ich bin einfach dazu gezogen. Ich konnte Sie nicht rausschmeißen.“

Er ärgert sich über den Zustand des Hauses. Fenster sind zu Bruch gegangen, die Kloschüssel ist einfach verschwunden. Die Besetzung wechselt ständig und die Kommunikation ist schwierig, da Izet kaum Englisch und die Pakistani kaum Bosnisch sprechen „Ich weiß nicht was ich machen soll. Ich wünsche mir, die Leute würden mein Haus mehr respektieren, aber wenn ich weg bin passieren immer wieder diese Sachen. Aber ich bringe es auch nicht übers Herz sie alle auf die Straße zu setzen.“ Nun leben Izet und 3-8 Junge Mitbewohner auf ungefähr 50m² zusammen und bilden eine der wohl ungewöhnlichsten WG‘s die ich kenne.

Später spreche ich mit einem jungen Pakistani über die Situation. Sie zahlen Izet zusammen 150 bosn. Mark (ca. 75€) pro Monat Miete. Bezahlt wird in Bier und Zigaretten. Sie sind dankbar dass sie dort wohnen dürfen, aber oft ist es auch schwierig weil Izet nach dem x-ten Bier unberechenbar wird.

Wir werden dort morgen die Türen reparieren und eine neue Kloschüssel installieren. Egal ob sich Izet irgendwann dafür entscheidet wieder allein in seinem Haus leben zu wollen, bin ich tief beeindruckt davon, wie er sich der Situation gefügt hat. Keine Ahnung was ich von der Miete halten soll, aber meiner Einschätzung nach können die paar Mark auf keinen Fall aufwiegen, auf wie viel Privatsphäre, Ruhe und Sicherheit er momentan verzichtet, um ein paar Menschen die Situation hier erträglicher zu machen.

White House
Eine weitere Bauruine im Vorort von Kladuša. Bis heute lebten hier 10 Menschen, 4 werden heute Nacht ins game gehen. Morgen kommen vielleicht neue die ihr Obdach in „stadium“ verloren haben. Das erste Mal waren wir dort, weil die gesamte Freiwilligencrew zum Dinner eingeladen war. Reis, Bohnen, Chubs (Brot), Zigaretten und Cola. Es wurde viel gelacht. Die Stimmung zwischen den aus Algerien und Marokko stammenden Männern ist gut. Seit heute gibt es drei Öfen.

Amir ist seit 8 Monaten in Bosnien, ist dreimal ins game gegangen und einmal wieder zurück gegangen, weil sein bester Freund gecatcht wurde. Er hat eine stylische Frisur und ist für die Erfahrung und das Abenteuer Richtung Europa losgezogen. Hier ist viel Aufbruchstimmung. Außer bei Hakim und Aziz, die in der unteren Etage wohnen und auf einander aufpassen. Sie streiten dabei, vertragen sich und betäuben sich mit Alkohol und Medikamenten. Aziz hat durch die kroatische Polizei ein Auge verloren. Wir haben ein bisschen Angst vor Unfällen mit dem neu installierten Ofen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in 2020 von Katja. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.