Abschied während Polizeieinsatzes

Gerade als wir Subotica verlassen haben, erreicht uns eine Hilferuf von Fresh Response. Es hat mehrere Polizeieinsätze in mehreren Camps gegeben. Die Polizei ist mit 30 – 40 Kräften und Hunden im Morgengrauen gekommen. 114 Menschen sind in Polizeibussen in ein Lager bei Presevo  abtransportiert worden. Ein zweiter Überfall ereignet sich ein paar Stunden später. Die Polizei reißt provisorische Behausungen und Zelte ein, vertreibt die Bewohner. Wir werden gefragt, ob wir zum Ort des Geschehen kommen könnten. Mittlerweile sind wir anerkannt für unsere Erfahrung mit Polizei in schwierigen Momenten und für unsere Fähigkeiten, in schwierigen Situationen gute Lösungen entwickeln zu können.

Leider sind wir schon 90 Minuten entfernt von Subotica und können deshalb nicht mehr helfen. Deutlich wird jedoch, dass es eigentlich der falsche Moment zur Heimreise ist und wir noch gebraucht werden.

10 Minuten  vor der serbisch-kroatischen Grenze melden wir uns endgültig von der Kommunikation ab.

Veröffentlicht unter 2017

traurig

Angespannt fahren wir zu unserem letzten Besuch zu der Gruppe, die vor ein paar Tagen so heftige Polizeiübergriffe in Ungarn erlitten hat, dass wir zwei Menschen ins Krankenhaus begleiten mussten.

Als wir den Treffpunkt erreichen ist alles still. Wir sind mal wieder pünktlich, um die Gruppe nicht warten zu lassen. Aber es reagiert niemand auf das Autogeräusch. Normalerweise brauchten wir nicht lange warten, weil wir schon erwartet wurden. Heute tut sich gar nichts. Wir lauschen in die Stille. Gibt es Hundegebell, Lautsprecherrauschen, Fahrgeräusche von Jeeps…? Zum Glück ist nichts zu hören. Nach 15 Minuten fahren wir weiter und erreichen einen früheren Treffpunkt, an dem noch die provisorischen Zelte stehen. Auch hier ist niemand. Langsam machen wir uns Sorgen und entschließen uns, zügig die Lebensmittel für die Gruppe auszuladen und dann schnell wieder zu fahren, damit wir die Flüchtenden nicht verraten, falls sie sich an diesem Mittag vor der serbischen Polizei verstecken müssen. Erneut schreiben wir eine WhatsApp Nachricht- und endlich ein „wir sind in 5 Minuten da“. Uns fällt ein schwerer Stein vom Herzen und wir atmen tief durch.

Heute begleiten uns zwei Volunteers der niederländischen Volksküche Aid Delivery Mission (ADM). Wir kennen Teile dieser Küche schon von Rampenplan, einer Küche, die immer für X-tausendmal quer bei den Castor-Transporten im Wendland gekocht hat und der wir uns seit Jahrzehnten verbunden fühlen. Freund_innen sozusagen, die nach einem mehrmonatigen Einsatz in Idomeni in 2016 jetzt einen neuen mehrmonatigen Einsatz in Subotica begonnen haben. Gestern hat die bunte Gruppe zum ersten Mal für mehrere hundert Menschen gekocht und warmes Essen verteilt.

Da wir morgen abreisen werden, haben wir versucht, Nachfolger_innen für unsere Arbeit zu suchen. ADM wird noch heute entscheiden, in wie weit sie zumindest diese eine Gruppe regelmässig mit Wasser, Lebensmitteln und nach Polizeieinsätzen mit neuen Schuhen und Kleidung versorgen können.

Heute ist unser letzter Besuch bei den Flüchtenden. Endlich hören wir sie kommen und sind erleichert, dass es ihnen merklich besser geht, als bei unserem letzten Besuch vor zwei Tagen. Eigentlich ist die Gruppe etwas in Sorge, weil ein Polizeifahrzeug kurz vorher gesichtet wurde. Wir machen schnell und sind kurz davor, uns zu verabschieden, als die Gruppe sich doch entscheidet, dass ein Gespräch nicht zu riskant ist. Wir setzen uns alle im Kreis. Einige können sich auf Grund der gezielten Schläge auf die Kniescheiben noch nicht hinsetzen. Für sie wird aus Steinen schnell eine niedrige Sitzgelegenheit improvisiert. Themen heute sind insbesondere die Verletzungen und deren Heilung, aber auch die geglückte Wiederverwendung von kleinen Wärmekissen, die durch Knicken einer kleinen Metallplatte für ca. 30 Minuten Wärme entwickeln, dann erstarren und durch Aufkochen wieder benutzbar gemacht werden. Die Flüchtenden erzählen, dass es gelingt, die Wärmekissen durch Erhitzen im Teewasser wieder neu aktivieren zu können. Wir sind froh, dass das klappt. Die zwei neuen Voluntäre stellen sich vor und es werden Telefonnummern ausgetauscht. Langsam wird es Zeit, Abschied zu nehmen. Den 6 (von 16) Männern sieht mensch die Traurigkeit an. Sie wünschen sich ein gemeinsames Foto (das wir im Moment hier nicht veröffentlichen können). Bevor wir uns für ein Gruppenfoto aufstellen, singt Katja noch ein Lied:

Mögen sich die Wege vor deinen Füßen ebnen,
mögest du den Wind im Rücken haben.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.

Möge warm die Sonne dir dein Gesicht bescheinen,
möge sie dir Glanz und Wärme geben.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehen, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.

Möge sanfter Regen dir deine Felder tränken,
möge mildes Wetter dich begleiten.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehen, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.

Mögen Gottes Engel dich überall behüten,
mögen sie dich auf den Händen tragen.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehen, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.

Leider ist mir, Katja, der meiste Text entfallen. Aber die tiefe Botschaft dieses Irischen Segens erschließt sich vielleicht auch ohne Worte, nur mit dem Refrain und den Tönen. Auch wenn wir drei (Falko, Matthias und ich) vermutlich keine Gemeinsamkeit in unserer Spiritualität haben, enggenommen das Lied einen christlichen Hintergrund hat (der auch nicht meiner (Katjas) ist), so gibt es doch eine grundlegende Verbindung alles Menschlichen und Lebendigen auf Erden, dass geschützt und bewahrt werden muß.

Während ich dies schreibe, fließen die Tränen. Und eine unbändige Wut kommt auf. Es liegt so viel Ungerechtigkeit in dieser Situation: Wir mit weißer Hautfarbe, einem deutschen Pass, einem Auto am Rande des Treffpunkts verabschieden uns von Menschen mit dunklerer Hautfarbe, ohne den richtigen Pass. Sie haben keine Wahl. Sie müssen hierbleiben und immer wieder neu ihre körperliche und seelische Integrität aufs Spiel setzen, wenn sie weiter gehen auf ihrem Weg. Wir haben die Wahl hierzubleiben oder zu gehen. Und wir entscheiden uns zu gehen. Zurück in unser sicheres Leben, ohne Angst vor Kälte, Polizeigewalt. Es ist kaum auszuhalten und es zerreißt mich.

Veröffentlicht unter 2017

Unterstützer_in für Duschprojekt dringend gesucht

Für das Duschprojekt, das wir weiter unten im blog beschrieben haben, wird hier in Subotica einE Unterstützer_in gesucht. Möglichst ab sofort bis zum 31.3.2017.

Diese Arbeit wird zusammen mit einem niederländischen Volunteer geleistet, der multilingual (niederländisch, spanisch, deutsch, englisch….) kommuniziert.

Es macht viel Freude, die Duschen aufzubauen, das Wasser zu erwärmen, die frische Unterwäsche bereitzulegen und dann die Flüchtenden zu erleben, wieviel es ihnen bedeutet, endlich wieder warmes Wasser auf der Haut zu spüren.

Wer Interesse hat, möge sich bitte möglichst schnell bei uns auf dem Handy unter 0049 170 8042056 melden.

Veröffentlicht unter 2017

Push-backs, Tore und mögliche Nachfolger

Unsere Zeit hier nähert sich langsam dem Ende.

Gerade kommen wir von der Versorgung einer Gruppe zurück, die mit 20 Leuten in einem Nachbardorf von Subotica gestrandet ist und vieles in Ungarn verloren hat. Vieles können wir organisieren. Nur Decken sind ein Problem. Wir wissen aber, dass (wahrscheinlich) am Wochenende neue Decken kommen und nehmen uns vor, den Decken-Bedarf an bleibende Volunteers zu übergeben.

Wir suchen nach Nachfolgern, die unsere Arbeit in den Wäldern der Vojvodina fortführen. Heute Abend treffen wir uns mit einer niederländischen Gruppe, die grundsätzliches Interesse formuliert hat.

***

Als wir vor ein paar Tagen immer wieder an der Grenze unterwegs waren, haben wir tatsächlich die Tore im Grenzzaun gefunden, durch die die sogenannten Push-backs, also die Ausweisung und Abschiebung der Flüchtenden stattfinden. Eigentlich sind die Tore wahrscheinlich dazu gedacht, zu Reparaturen am NATO-Draht vor dem Grenzzaun zu gelangen.

An den Toren entdecken wir hängende, im Wind flatternde DIN-A 4 Zettel. Am zweiten Tor liegt auf dem Boden ein in Urdu geschriebener feuchter weiterer Zettel. Wir stecken ihn ein.

  

Erst später finden wir raus, was für einen spektakulären Fund wir da gemacht haben: Die Geflüchteten berichteten immer wieder von einem Prozedere am Grenzzaun, bevor sie durch ein Tor abgeschoben wurden: Sie mußten laut von einem Zettel ablesen, dass sie Ungarn illegal betreten haben und gut behandelt worden sein. Sie hätten auch keinerlei Gewalt oder Mißhandlung erlebt. Wer nicht sofort ablesen wollte, wurde solange mit Tränengas direkt in die Augen bearbeitet bis er ihn ablas. Das Ablesen des Zettels haben die ungarischen Beamten dann mit Videoaufnahmen dokumentiert.

Bisher gab es keine Beweisstücke dafür. Jetzt hatten wir eine Dokument gefunden, dass vielleicht in möglichen Prozessen oder auch bei der Pressearbeit der Gruppen hier vor Ort eingesetzt werden könnte.

Mittlerweile wird an vielen Stellen, die wir direkt begutachtet haben, ein zweiter Grenzzaun durch Gefängnisinsassen und Grenzbeamte hochgezogen. Zwischen den beiden Zäunen befindet sich ein schmaler befahrbarer Kontrollweg auf dem Tag und Nacht die Geländewagen der Grenzer patroullieren.

Wie wir uns bei diesen Grenzinspektionen gefühlt haben, lässt sich nicht so einfach beschreiben. Stundenlang haben wir über Wege gebrütet, die es uns ermöglichen würden, möglichst lange unbemerkt zu bleiben. Zu unklar ist uns die Situation mit der serbischen Border-Control, zu groß die Angst vor einer direkten Ausweisung aus Serbien. Wenige Volunteers gehen so stark in die räumliche Konfrontation mit dieser Grenzsituation wie wir. Wir können unsere ganze Erfahrung aus dem Castor-Widerstand und dem Nicht-Zurückweichen einbringen. Wir bleiben auch dann nicht stehen, wenn von der ungarischen Seite ziemlich deutlich zum Stehenbleiben aufgefordert wird. Mit einem drohenden Unterton, der deutlich macht, hier geht es nicht mehr um Spaß (gehts ja sowieso nicht). Für uns aber ist klar, würde eine Schusswaffe gezogen, blieben wir stehen. Auch wenn sich plötzlich das Tor für die Grenzpolizei öffnet (zum Glück passiert das nicht) und die Grenzer in den ungarischen Korridor vor dem martialischen Grenzzaun kommen würden. Auch hier ist die Grenzpolizei erstaunt (so wie anderwo), dass wir dem Befehl nicht Folge leisten, sondern ganz in Ruhe aber zielstrebig unsere Fotos von den Toren machen.

Nach solchen Einsätzen sind wir hinterher ziemlich erschöpft. Der Körper schmerzt vor Anstrengung, der Mund ist trocken wegen des hohen Adrenalinausstoßes. Dabei taucht dann natürlich immer wieder der Gedanke an die Flüchtenden auf, die diese Situation mehrmals pro Woche erleben, wenn sie versuchen die Grenze zu überwinden.

Übrigens, alle Menschen die wir in den vier Wochen erlebt haben, sind frei von Aggression und Haß. Sie sind zutiefst verletzt, gedemütigt. Einige dabei von einer ruhigen Fröhlichkeit. Andere so stark traumatisiert, dass ihr Gesicht keine Regung mehr zeigt.

Veröffentlicht unter 2017

Übergriffe- was fangen wir damit an?

Keine Einträge bedeuten nicht, dass nichts passiert.

Einige Dinge haben wir hier rausgefunden, die wir noch nicht veröffentlichen können.

Zwischen unseren Versorgungsfahrten für die Gruppen im Wald und den langen aufwändigen Einkäufen davor, der Koordination mit Fresh Response und anderen Aufgaben recherchieren wir, in wie weit die Folter an der/den ungarische(n) Grenze(n) von der kritischen Öffentlichkeit in Ungarn und anderswo bereits wahrgenommen und angeprangert wird.

Ein ganz aktueller Bericht des Hungarian Helsinki Committee von Anfang des Jahres prangert die Behandlung der Geflüchtenden und die Verweigerung von Unterstützung und Zugang zum Asylsystem an.

Darin wird resümiert:
„4. Recommendations
• The law legalizing push-backs, breaching Hungary’s legal obligations under international and European Union law, should be revoked.

• Police measures taken at the border should always be documented and
appropriate safeguards should be in place to guarantee the respect for
human rights. Subjects of police measures should be informed of their rights to complain and there should be an adequate complaint mechanism in place.

• Given Frontex’s role at the Hungarian-Serbian border, Frontex should make its findings public and should ensure that FRONTEX-operations play an active role in preventing and investigating the widespread violence at the Serbian-Hungarian border.

• Ensuring access to territory by expanding the capacity and opening times of the transit zones could divert irregular migration towards regular channels.“

Wir halten Frontex nicht für die geeignete Institution, um Übergriffe und Folter zu veröffentlichen oder auch solche inhumanen Maßnahmen aufzuklären.

Wenn wir groß träumen, denken wir an zivile Beobachter_innen, die die ungarische Polizei, ungarische Soldaten, private Wachdienste, border hunter (so werden gerade frisch ausgebildete Kräfte, die nicht der Polizei und dem Militär angehören, genannt) oder auch Frontex-Einheiten begleiten. Wenn es diese internationalen Beobachter_innen u.a. bei Wahlen gibt, warum nicht auch hier?

Unsere Berichte, zusammen mit anderen Artikel (hier ein ganz neuer Artikel vom 1.3.2017) haben einiges an Wirbel verursacht. Wir überlegen immer wieder neu, wie eine politische Arbeit gegen die menschenverachtenden Vorgänge an der Grenze aussehen könnten.

Wir halten möglichst viele Briefe, Beschwerden, oder auch Kontakt zu ungarischen Gruppen für einen wichtigen Hebel im Kampf gegen die Folter. Persönliche Besuche in der ungarischen Botschaft in Berlin oder bei den Konsulaten in Bremerhaven, Dresden, Erfurt, Essen, Hamburg, München, Nürnberg, Schwerin oder Stuttgart. Zeigt, dass wir nicht wegschauen und dass wir zumindest in diesem Fall wissen, dass die Ungarn vielleicht nur Erfüllungsgehilfen der Nord- und Mitteleuropäischen reichen Nationen sind, aber eine Poltik fahren, die nicht hinnehmbar ist.

Wer Kontakte nach Ungarn hat, möge sie bitte dringend nutzen!

Auch die politische Ebene in der EU, über Abgeordnete, parlamentarische Anfragen, Besuche von Abgeordneten an der Grenze könnten ein wichtiges Element sein.

Wir denken auch über Aktionen Zivilen Ungehorsams nach: Wie wäre es, es würde eine große öffentliche Unterschriftenkampagne gegen die Folter an Europas Grenzen geben und an mehreren Tagen würde diese Protestkampagne durch Direkte Aktionen an der ungarischen Grenze begleitet?
Vielleicht schaffen wir es nach unserer Rückkehr weiter daran rumzuspinnen – gerne auch mit euch zusammen.

Veröffentlicht unter 2017

Basisversorgung

Seit einigen Tagen haben wir Kontakt zu 3 Gruppen, die außerhalb von Subotica an unterschiedlichen Orten lagern. Es sind Orte, von denen sie aufbrechen, um einen heimlichen Grenzübertritt zu versuchen oder Orte, wo sie nach einem Push-back versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen. Diese Orte wechseln ständig, die Anzahl der Menschen dort schwankt jeden Tag zwischen 5 und 32. Auch die Treffpunkte wechseln immer wieder.

Wenn wir eine Nachricht erhalten, besorgen wir Lebensmitteln, insbesondere Gemüse, Kartoffeln, Reis und Brot. Immer dabei ist Wasser für mindestens 2 Tage zum Kochen und Trinken. Zusätzlich Klopapier, Feuchttücher. Selten Eier und Milch, manchmal Kaffeepulver und Teebeutel. Manchmal ein Päckchen Tabak. Dann je nach Bedarf Schuhe, Jacken, Hosen, Strümpfe.

Im Moment sieht unser Tag so aus:

Wir stehen um 3 Uhr morgens auf und fahren in Grenznähe, um zurückgepushte Menschen in Empfang zu nehmen und zu schauen, was sie brauchen: Nähe, Trinken, Wärme

Ab 7/8 Uhr gehen wir in der Umgebung einkaufen und liefern dann das Essen an einen verabredeten Ort.

Um 9 Uhr ein kleines Frühstück in unserer Unterkunft. Dann ein paar Stunden Schlaf. Im Laufe des Tages meldet sich dann eine andere Gruppe bei uns und nennt ihren Bedarf. Wir gehen einkaufen. Suchen günstige Kleidung, packen das Auto neu und steuern einen neuen Treffpunkt an. Mittlerweile hat die Abenddämmerung eingesetzt. Manchmal fahren wir ohne Scheinwerfer, warten irgendwo nach Kilometern auf Sandpisten. Dann eine schnelle leise Übergabe und schon verabschieden wir uns mit einem kurzen „Take care and good luck“.

Bisher konnte Fresh Response diese Arbeit kaum leisten, weil die Vesorgung der Geflüchteten im Stadtgebiet von Subotica alle ihre Kräfte vereinnahmte. Insofern sind die Volunteers sehr froh, dass jetzt durch unsere Arbeit mehr Menschen mit dem lebensnotwendigen versorgt werden, – insbesondere die, durch die besondere Situation des völlig isoliert im Geheimen lebens, besonders vulnerable sind (Bezeichnung für Menschen mit einer erhöhten Verletzlichkeit). Das entlastet die Helfer_innen vor Ort.

Immer wieder merken wir, wie hilfreich es ist, dass wir dank der Hilfe vieler Unterstützer_innen in Deutschland, frei handeln und spontan auf existenzielle Bedürfnisse der Flüchtenden eingehen können. Das gibt unserer Arbeit hier eine gewisse zumindest finanzielle Leichtigkeit und wir würden gerne das erschöpfte, leise „Thank you“ unserer Kontaktmenschen an euch weitergeben.

 

Veröffentlicht unter 2017

Europa lässt foltern

Seit einigen Tagen sind wie so viel unterwegs, dass wir keine Kraft zum Schreiben hatten.

Um euch aber auf dem Laufenden zu halten, versuchen wir zumindest eine Begegnung zu schildern. Anderer Berichte über die letzten 3 Tage folgen.

Europa lässt foltern. Das sind harte Worte. Aber diejenigen von euch, die die Berichte in Political Critique vor einigen Tagen gelesen haben, werden unsere Wortwahl verstehen. Und auch wir begreifen immer mehr, was hier jede Nacht im Dunkeln durch staatliche Gewalt passiert.

Wir treffen morgens um 8.10 Uhr H. Er möchte nicht mit seinem Namen genannt werden. Er ist vor einer Stunde über die Grenze zurück nach Serbien abgeschoben worden (push-back), H. zittert am ganzen Körper. Seine Füsse stecken barfuss in Plastikschuhen, die ihm ein LKW-Fahrer auf dem Weg fort von der Grenze zugeworfen hat. Die Jacke, die er trägt, haben ihm andere Flüchtende gegeben; die lange Unterhose, ist wohl noch seine (es sind 5°C). Kaum betreten wir das Grundstück, wo eine Gruppe von Menschen am Rande eines Dorfes nahe der Grenze Zuflucht gesucht hat, bricht es aus ihm heraus. Stotternd berichtet er von Stockschlägen und Fußtritten. Er kann sich nicht richtig aufrecht halten. Den Kopf immer noch schützend zwischen die Schultern geduckt, beschreibt er die Traktierung mit Elektroschocks. Die Angriffe mit Pfefferspray. – Dass sie ihm die Schuhe weggenommen und vor seinen Augen zerschnitten haben. Die Jacke und Hose haben sie genommen.
Wie die Grenzleute alle ausgezogenen Menschen in einen kleinen Kreis getrieben hätten und ihrer Köpfe aneinander geschlagen hätten, wie er es noch nie erlebt hat. Dann wurden die Männer im Kreis rumgeschubst, dabei immer wieder mit Schlägen und Tritten malträtiert. Er auf den Boden geschmissen, auf ihm rumgetrampelt. Mit Water boarding sei auch schon einmal vor 2 Wochen sein Kopf unter Wasser gehalten worden, während seine Beine in der Luft strampelten. Er ringt nach Fassung. Immer wieder muss er unterbrechen. Wir schweigen immer wieder zusammen, dann ein leichtes Nachfragen von uns, und H. berichtet weiter unter Zittern. Sein Geld haben sie ihm abgenommen, es vor seinen Augen zerrissen. Sein Handy zertreten; die zwei Ringe und 2 Ketten, die er von seinen Eltern bekommen habe, abgerissen und ins Wasser geworfen. Jetzt könne er seine Mutter in Afghanistan nicht anrufen und sie würde verrückt vor Sorgen.

Seine Augen blicken entsetzt, voller Fragen, Demütigungen. Er ergreift eine offene angebotene Hand. Mehr Körperkontakt geht nicht. H. steht unter Schock.

Wir bereiten aus der Thermoskanne einen kleinen Becher Pfefferminztee mit viel Zucker zu.

Dies ist nicht Guantanamo. Dies ist eine Außengrenze von Europa mitten in Europa, 1100 km vom Wendland entfernt.

Veröffentlicht unter 2017

Verschwendung in offiziellen Camps

Ganz auf die Schnelle: In Subotica gibt es ein offizielles Camp, das Familien, aber nach unserer Information keine Menschen aus Pakistan und Afghanistan aufnimmt.

Bei einem Kurzbesuch mußten wir heute feststellen, dass im Müllcontainer vor dem Camp mehrere dutzend dicke Wolldecken sowie saubere Kopfkissen entsorgt wurden. Auf Nachfrage bei einem jungen englischsprachigen Mitarbeiter erklärte er uns, dass das alles erneuert würde. Unsere Frage, warum die existenziell wichtigen Decken nicht an die Geflüchteten auf der gegenüberliegenden Straßenseite gespendet würden, wo nachts die Menschen frieren, erwiderte er: Nein. Das wäre deren eigene Wahl dort zu leben. Deshalb würden die Dinge einfach von vom Camp weggeworfen.

Auf die Nachfrage, uns bitte seinen Namen zu nennen, drehte er sein Namensschild um und verweigerte die Angabe. Das Camp wird laut Ausschilderung u.a. vom ASB Deutschland und German Humanitarian Assistance finanziert.

Wir werden zumindest den ASB auf diesen Mißstand aufmerksam machen, insbesondere weil wir (Katja und Matthias) ja mehrere Monate in einer Notunterkunft des ASB tätig waren.

Hier sieht man nur noch ein Bruchteil der verschwendeten Wolldecken. Der Rest wurde „sichergestellt“.

 

Veröffentlicht unter 2017

Auffälliges Picknick

Nachdem wir schon mehrere Tage auf der Suche nach anderen versprengten Gruppen ziemlich erfolglos waren (auch wenn wir viele Spuren von Flüchtenden gefunden haben), beschließen wir, anders vorzugehen. Anstelle, dass wir Menschen suchen, wollen wir gefunden werden. Wir machen ein Picknick an einer gut sichtbaren Stelle am Waldrand auf einem Weg, den viele Geflüchtete in Richtung Grenze gehen. Wir klappern bewußt laut mit den Autotüren.

Wir genießen die Frühlingssonne und kochen Kaffee. Abwechselnd durchstreifen wir den Wald.

‚Ich ging durch den Wald und habe versucht Lieder zu singen, damit Menschen, die sich im Dickicht vor der Grenzpolizei verstecken, auf mich aufmerksam werden.
„Auf du junger Wandersmann…“ bei der dritten Zeile musste ich stocken.‘
[Falko]

Überall Spuren von lagernden Menschen.

Wir gehen näher an die Grenze heran und erreichen den unbewaldeten Grenzstreifen Richtung Ungarn. Dahinter ein stabiler Grenzzaun, oben mit Natodraht drauf. Dahinter noch einmal 3 Rollen Natodraht übereinander gestapelt (Nato-Draht hat kleine Schnittmesser am Draht, die scharf sind und die Haut zerschneiden). Spätestens alle 5 Minuten patroulliert ein Grenzfahrzeug auf der ungarischen Seite. Zwischendurch (bewaffnete) Fußpatroullien. Wir ducken uns, um nicht entdeckt zu werden.

Beim Aufbruch lassen wir am Picknickplatz eine große Wasserflasche, ein Brot und ein Zettel mit „Refugees Welcome“ zurück. Heute fahren wir wieder hin…

Veröffentlicht unter 2017

Im Wald

Wir erfahren von einer Gruppe, die im Wald lagert und massive Verletzungen durch Polizeigewalt in Ungarn erfahren hat. Es handle sich um einen Rippenbruch  (den wir sowieso nur mit einen Wickel aus elastischen Binden stabilisieren könnten), Hundebisse und einen Handbruch.

Wir (Matthias und Katja) fahren mit einer spanischen Aktivistin und einem mit Lebensmitteln, Wasser und gekochten Essen vollgepackten Auto auf endlosen Sandpisten (zum Glück hat es nicht geregnet) zum vereinbarten Treffpunkt.

Dort treffen wir auf viele Menschen, die in mehreren kleineren Gruppen im Wald lagern. Die Verletzungen sind schon von einem anderen Team, das wir nicht kennen, am Vortag behandelt worden. Das warme Essen der spanischen Gruppe wird schweigend verzehrt. Es ist stockfinster, nur ganz kleines Taschenlampenlicht erhellt ein wenig die Szene. Wir haben zufällig noch eine Kleinigkeit dabei – eine Rolle Toilettenpapier. Wir übergeben die Rolle an einen Flüchtenden. Dieser verteilt sie, jeder erhält drei Stücke. Zum Finger reinigen. Es gab kein Brot zum warmen Essen. Es wurde ausschließlich mit den Fingern gegessen.

Die Männer sind sehr jung, freundliche, offene Gesichter. [Auf der Kölner Domplatte würde solch eine Gruppe vorverurteilt. …. Warum?]

Wir sollen uns schnell wieder auf den Weg raus aus dem Wald machen. Wir lassen noch ein paar Decken da. Mehr wird im Moment nicht gebraucht.

Veröffentlicht unter 2017