„Im Norden nichts Neues“

6.3.2017

Wir stehen nicht früh auf. Die letzten Tage haben wir die Sonnenaufgänge nahe einer Push-back-Zone verbracht. Wir haben Gruppen getroffen und versorgt, die es nicht durch den ersten Zaun geschafft hatten und deswegen unmisshandelt blieben. Wir haben Menschen getroffen und versorgt, die weiter gekommen waren und gefoltert wurden.

Wir haben auch festgestellt, dass die Frequenz der Bewegungen der Flüchtenden unregelmässig ist. Dementsprechend haben wir die letzten Tage eine sinkende Zahl bis auf null wahrgenommen. Wir beschließen deswegen, an diesem Tag auf unsere morgendliche Wacht zu verzichten.

Auf Grundlage unserer bisher gemachten Erfahrungen suchen wir noch einmal ein Grenzgebiet auf, in dem wir mögliche Lager von Flüchtenden vermuten. Wir erkunden das Gelände und kommen zu dem Schluss, dass dort in der letzten Zeit Gruppen nur kurz gelagert haben – wahrscheinlich auf ihrem nächtlichen Weg zum Grenzübertritt. Wahrscheinlich ist der Ort doch zu weit von existenzieller Grundversorgung entfernt.

Der Müll liegt dort von etlichen Vor-Bewohner_innen. Die jetzigen Bewohner haben freien Fussbodenplatz für Lagerung von Lebensmitteln geschaffen.

Dann eine SMS.

„Broken hand,hungarian police action, please help, some food.“

Wir sind 1,5 Fahrstunden entfernt, antworten aber sofort, dass wir uns auf den Weg machen.

Wir finden „unsere“ Gruppe vor, so wie es hier üblich ist. Mit 15 Personen ist die Gruppe gestern Abend über die Grenze gegangen. Heute vormittag wurden sie entdeckt. Danach drei Stunden Folter. Jeweils 3 Beamte für einen Flüchtenden. Danach Push-back und 2 Stunden humpelnd Rückkehr zum Ausgangspunkt.

2 Menschen der Gruppe sind in Ungarn verloren gegangen, 2 Flüchtende fahren wir ins Krankenhaus, 6  Flüchtende behandeln wir vor Ort, 5 Flüchtende sind unverletzt zurück.

Heute versorgen wir Hundebisse, Schlagstockschwellungen an Knien, Schultern, Handgelenken. Die Häufigkeit von Knie- und Handgelenksverletzungen lässt auf planmässiges Vorgehen der ungarischen Staatsschläger schließen.

 

Versorgung im Stehen, da Sitzen auf Grund der Knieverletzung nicht möglich ist.

Nach der Versorgung fallen die Flüchtenden in ihre Schlafstätten.

Im Krankenhaus wird bei einem Flüchtenden die Kopfwunde genäht, das massiv malträtierte Handgelenk geschient. Beide Flüchtende haben zum Glück keine Brüche und können das Krankenhaus wieder verlassen. Einer von uns begleitet sie die gesamte Zeit. Auch zur Polizei, die vom Krankenhaus gerufen worden war. (Normal bei Verletzungen durch Gewalt).

Auf der Fahrt zurück schlafen die Flüchtenden schon im Auto ein. Wir setzen sie ab, sie verschwinden.

Unser Tag endet um 2 Uhr.