Hoffnung und Pflaster

Donnerstag, 14.4.2016

Übersichtsplan Camps

Übersichtsplan Camps

Wir fahren am Morgen zum Hotel Hara (in nördlicher Richtung von unserem Standort Richtung Grenze zu Mazedonien) um die Menschen der dortigen Unterstützungsstruktur zu treffen.


Auf dem Weg dorthin werden wir von der Polizei angehalten. Wir werden gefragt, ob wir independent sind oder für eine Organisation tätig. Weil Grenzenlos-People in Motion in Griechenland nicht registriert ist und wir eine Pflicht dazu befürchten, geben wir uns als independent aus. Sie wollen unsere Ausweise sehen, sonst nichts. Ladung ist egal, Führerschein und Fahrzeugpapiere auch. Sie wollen uns einfach nur erfassen. Süß ist deren Umgang mit unseren Dokumenten. Scheinbar scheinen alle Helfenden aus Deutschland einen neuen Personalausweis zu haben – so wie Sebastian und ich. Zumindest haben sich die Polizisten an Katjas altem Ausweis abgearbeitet. Und sich von uns den Unterschied der Dokumente erklären lassen.


Am Hotel Hara angekommen finden wir die HelferInnen nicht. Dafür erleben wir die Essensausgabe einer VolksKüche (Vokü). Viele Menschen warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Frauen mit Babys auf dem Arm haben keine Kapazität, um 2 Chapatis, 2 halbe Tomaten, 2 Orangen und 2 Flaschen Wasser zu transportieren (für 2 Personen). Alles droht aus dem Arm zu fallen. Wir tragen das Essen für die Frauen zu ihrem Zelt, wo der Mann auf sie wartet.

Später reden wir mit 2 Voküs (Gemeinschaftsküchen) und erklären das Problem. Eine Küche reagiert sofort und will ab jetzt für die Mütter mit Babys das Essen in dünnen Plastiktüten ausgeben (Müll spielt in der Situation vor Ort keine Rolle). Gleichzeitig versucht Katja Impulse zu setzen, dass die Voküs jeden Tag einen Liter Vollmilch an stillende Mütter ausgeben. Auch das wird von der in Polykastro ansässigen Küche begeistert aufgenommen. Die wußten nicht, dass stillende Mütter einen erhöhten Energiebedarf haben (und ihr Essen hat nur 450kcal).

Eine der Voküs thematisiert auch, dass sie ständig nach Muttermilchersatznahrung gefragt werden. Es sei hier aber untersagt, so was auszugeben. Katja kann sofort die Argumente für das „Verbot“ nennen: Gefahr der falschen Dosierung, Unterernährung, mangelnde Hygiene, massive Gefahr der Infektion durch bakteriell verseuchte Ersatzmilch… (einigen sicherlich aus der Kampagne zum Nestle-Boykott vor vielen vielen Jahren bekannt).

Schnell begreift die Küche, dass es Sinn macht, diese Ersatzmilch nicht anzuschaffen. Stattdessen empfehlen wir die Beratung der nicht mehr still-willigen Mütter durch andere stillerfahrende Mütter, Laktionsberaterinnnen (wie auf der EKO-Tankstelle) oder Hebammen.

Und natürlich ein verbessertes Nahrungsmittelangebot für Stillende und Schwangere, sowie eine möglichst entspannte Lebenssituation – aber die ist hier nicht richtig herzustellen. Je öfter die Mutter sich einigermaßen sicher und auch versorgt fühlt, umso besser kann die Milch fließen. Insofern ist eigentlich klar, dass viele Mütter hier Stillprobleme haben. Und insofern ist auch klar, je besser die Gesamtversorgungssituation der Familie (emotional wie nahrungsmitteltechnisch) ist, um so besser die Situation des Babys.

Wir fahren weiter zu der benachbarten Tankstelle, wo die Afghan*innen leben. Schnell ist der Kontakt hergestellt. Ein großes Problem ist das Essen. Die Flüchtenden können sich an der Tankstelle warm und frisch zubereitetes Essen kaufen, das der Tankstellenbesitzer anbietet. Leider haben nicht mehr alle Flüchtenden Geld. Also müssen sie zur kostenlosen Essensausgabe der Voküs zum Hotel Hara gehen. Dort gibt es aber nicht immer ausreichende Portionen. Zudem müssen sie immer früh losgehen. Man weiß ja nie, wann der Wagen mit dem Essen genau kommt. Ein Problem, das auch wir nicht sofort werden angehen können. Im Gespräch mit dem Tankstellenbesitzer wird uns deutlich gemacht: wir dürfen die Menschen unterstützen mit allem, was ER nicht anbietet. Also keine Lebensmittel durch uns. Das wir uns für diesen inhumanen Umstand eine Strategie überlegen müssen ist uns klar – aber nicht am ersten Tag. Des Weiteren fehlt es an Decken, Kleidung, Schuhen, Zelten. Wir sagen zu, am selben Tag gegen 19 Uhr wieder zu kommen.


Am Sonntag und am Dienstag hat das mazedonische Militär Gasgranaten gegen die Flüchtenden auf griechischem Boden verschossen. Am Sonntag haben wir zusätzlich mazedonische Militärhubschrauber über das griechische Camp fliegen sehen. Gestern haben wohl mazedonische Kräfte auf griechischen Boden agiert. Blöde Nationalstaaterei.

Heute: vier griechische Militärhubschrauber kreisen neben dem Camp von Idomeni (später sehen wir noch einen fünften). Wir sehen knapp ein Dutzend Düsenjet tief über Idomeni fliegen (vielleicht auch 2×5 dieselben). Eine Aktivistin erzählt später, das sei die griechische Antwort, Zeigen von Militärpräsenz. Eine andere Aktivistin erzählt aus Idomeni, die Flüchtenden hätten wegen der Hubschrauber Angst gehabt, bombardiert zu werden.  Vielleicht waren die Hubschrauber zwischendurch auch über dem Camp, wahrscheinlich reichte aber auch schon die Präsenz und der Lärm aus der Ferne. Später erfahren wir aus den Medien, dass es sich tatsächlich um ein griechisches Miltärmanöver handelt, um die Grenzüberschreitungen der mazedonischen Armee zu beantworten – alles auf Kosten der direkt davon betroffenen Flüchtlingen.


Abends sind wir wieder am Camp der Afghan*innen, bringen Decken und leisten medizinische Hilfe. Husten, Fieber, kleine Wunden. Nicht alle Probleme können wir lösen. Entweder fehlt das mitgeführte Material oder wir müssen noch Details klären. Aber wir können ja fragen – heute oder morgen einen Arzt. Von daher kündigen wir uns für morgen an der Tankstelle wieder an.

Angenehm war die Erfahrung mit den Menschen. Wir haben zum ersten Mal unsere Güter verteilt und zum ersten Mal als „Anlaufpunkt“ fungiert. Wir wussten vorher nicht, wie sich die Menschen um uns herum verhalten würden. Wir wussten nicht, ob es Gedränge oder ähnliches geben würde. Alles war sehr entspannt. Wir hatten noch keine Zelte dabei, weder Hebamme noch Krankenpfleger konnten alle Probleme direkt lösen. Die Menschen haben sich vertrösten lassen und sich bedankt.

Um so wichtiger ist es, dass wir unsere Vertröstungen ernst nehmen und umsetzen. Und den Menschen neben hoffnungsstiftendem Vertrauen auch eine ernstzunehmende Verbindlichkeit geben.