Grenzenlos – People in Motion e.V.
Fluchthilfe konkret

von Katja

Vor vier Monaten sind wir aus Bosnien zurückgekehrt. Seitdem sind wir nicht untätig gewesen. Auf drei Erzählabenden im Wendland (unter anderem auf Einladung vom Rotary Club) haben wir unsere Erfahrungen geteilt und Menschen über das illegale Vorgehen an europäischen Außengrenzen informiert. Die Push-Backs sind diese Tage in der Tagesschau. Die EU ist entsetzt, als ob erst jetzt bekannt würde, dass gewalttätige Zurückweisungen von Flüchtenden zum alltäglichen staatlichen Geschäft in Ungarn oder Kroatien gehören.

Mittlerweile hat sich auf Initiative von "Grenzenlos" eine Regionalgruppe der Push-Back-Map im Wendland gegründet, die dieses Projekt für sehr wichtig hält und in den nächsten Wochen versuchen wird, intensiver in die Unterstützung dieses Netzwerkes einzusteigen.

Wir hatten euch in unserem Blog über zwei Menschen erzählt, die wir in Bosnien getroffen haben.

„Wir fahren wieder zum Haus nahe der kroatischen Grenze. Ich treffe 11 Personen aus Afghanistan, die in der Nacht zuvor gepushbackt wurden. Unter ihnen ist ein ehemaliger Dolmetscher, der zwei Jahre für die Bundeswehr in Kundus und Mazar El Sharif gearbeitet hat und zwei Jahre für die Nato. Aufgrund seiner Arbeit wurden sieben enge Familienangehörige getötet, es gab vier Angriffe auf sein Haus. Dann entschied sich die Familie zu gehen. Mutter und zwei Geschwister sind schon in Deutschland. Er hängt mit seiner 15-jährigen Schwester in Bosnien fest. Beide möchten gerne den letzten Push Back aus Sicht der Schwester dokumentieren und so hocken wir uns in einen kleinen halboffenen Stall. Es brennt ein klitzekleines Feuerchen, dass an diesem kühlen Tag nicht genug Wärme bringt.“

Die Situation für die minderjährige Schwester O. spitzte sich mit jedem neuen PushBack zu. Sie fing an immer depressiver zu werden, statt zu weinen verstummte sie über die Wochen.

Nach unserer Einschätzung hatte ihr Bruder auch nach herrschender Rechtsauffassung ein Recht darauf als ehemalige Ortskraft einen Zugang nach Deutschland zu erhalten.

Wir fingen an, unterschiedliche Funktionsträger*innen und Institutionen mit seinem „ Fall“ zu konfrontieren und eine Einreisegenehmigung zu erbeten. Hier kommt eine Auflistung aller Kontakte:

  • Bundesverteidigungsminsterium

  • Bundesaußenministerium

  • Bundesministerium des Inneren

  • Bundeswehr Patenschaftsnetzwerk, Marcus Grotian

  • Einsatzführungskommando der Bundeswehr J1 InFü / Patenschaftsprogramm

  • Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Eva Högl

  • International Organisation for Migration, Kabul und Mazar El Sharif (seit Juli nur eine Eingangsbestätigungmail)

  • Marcus Faber, FDP, Mitglied des Verteidungsausschusses

  • Tobias Pflüger, LINKE, Mitglied des Verteidigungsausschusses (hat nicht reagiert)

  • Kathrin Vogler, Filiz Polat, Ulla Jelpke, Luise Amtsberg, LINKE

  • Sven Giegold, Grüne, MdEP

  • Winfried Nachtwei, Afghanistan Initiative Offener Brief

  • ehemaliger Militärseelsorger

  • Deutsche Botschaft Sarajevo

  • Krisenkontaktstellen für zu evakuierende Ortskräfte aus Afghanistan

  • BLEIBEN - Migrationsberatung, Uta Müller

Eigentlich dachten wir, die humanitäre Katastrophe beim Abzug des Militärs aus Afghanistan und der starke öffentliche Fokus auf die Ortskräfte würde endlich die Tore nach Deutschland öffnen. Aber im Gegenteil: Gegenüber den tausenden bedrohten Menschen in Kabul erschien das Schicksal einer einzigen Ortskraft als nicht relevant.

Dann reifte der Plan A, R. zur Botschaft nach Sarajevo zu begleiten und dort ein Visum oder ähnliches zu beantragen. Wir organisierten Matthias Reise nach Bosnien, die Anmietung eines privaten Mietwagen in Velika Kladusa und eine sichere Unterkunft für drei Personen in Sarajevo. Dort waren wir vorbereitet über Wochen täglich mit R. zur Botschaft zu gehen und seinen Fall vorzutragen - möglicherweise auch mit Pressearbeit. Nützlich waren unsere persönlichen Kontakte, die wir zu unterschiedlichen Gruppen in Bosnien geknüpft hatten. Dazu entwarfen wir den Plan B: Nach einem möglichen Scheitern des Botschaftsprojektes würden wir beide auf anderem Wege nach Deutschland bringen. Wenn staatliche Institutionen versagen, müssen wir als Zivilgesellschaft handeln.

Wir konnten also verlässlich erklären: Wenn Matthias in Bosnien agekommen ist, werden wir an eurer Seite bleiben, bis ihr in Deutschland seid.

Und dann kam alles schneller als geplant: R. und O. schrieben, dass sie es bis nach Slovenien geschafft hätten. Die schwierige Grenze nach Kroatien war überwunden. Plan A hatte sich damit erledigt, nun griff Plan B.

Matthias machte sich auf den Weg nach Slovenien statt nach Bosnien. Er traf R. in Ljubiliana , O. befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge an einem anderen Ort. Die beiden waren gewaltsam voneinander getrennt worden. Zum Glück gelang es O. unter einem Vorwand die Einrichtung zu verlassen und selbständig per Bus den Weg zum vereinbarten Treffpunkt zu finden (in echten Notzeiten entwickeln Menschen immer wieder erstaunliche Fähigkeiten und Kräfte). Matthias traf beide in Italien wieder. Dann eine Fahrt von 800 km zur italienisch-französischen Grenze, immer mit der Sorge vor Mautstellen (beliebter Ort für Verkehrskontrollen), bzw. auf der parallelen Staatsstraße vor Carabinieri-Kontrollen. In den Alpen gibt es in beiden Grenzregionen Safe Houses, in denen Flüchtende essen, duschen und schlafen können, um dann über die Grenze aufzubrechen. Dort rasteten R. und O.

Einen halben Tag waren wir in Sorge: Eigentlich hätten beide schon längst in Frankreich ankommen müssen… Wir dachten an einen Unfall in den Bergen oder eine Deportation nach Slovenien. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass sie doch noch einen Tag gewartet hatten. Die Signal-Nachricht war nicht durchgekommen, wegen des schlechten Netzes.

Dann wieder eine lange Fahrt aus Südfrankreich über 700 km in die Nähe von Metz - Nancy.  Auf deutscher Seite befindet sich die 30km Zone, in der per Schleier-Fahnung nach Migrant*innen von Zivilfahrzeugen aus gesucht wird und mensch jederzeit Sorge haben muß, dass angehalten zu werden (deswegen ist es immer wichtig, ganz zügig aus der 30km Zone, die an allen Grenzen auf deutschem Gebiet parallel zur Grenze unsichtbar exisitiert, rauszufahren...in diesem Fall über kleinste Landstraßen nach Osten). Und dann war es nicht mehr weit bis zum Ziel.

Am Sonntagabend konnte O. (und R.) nach 6-tägiger Reise seit Abfahrt Slovenien endlich wieder ihre Schwester umarmen, die sie seit mehr als 3 Jahren nicht gesehen hatte. R. und O. beantragen jetzt Asyl bzw. versuchen, als Ortskraft anerkannt zu werden.

Die Unterstützung durch uns ist eine individuelle Hilfestellung. Sie ändert nichts an den Verhältnissen, aber für R. und O. hat sie alles geändert.

Wir haben den drittmächtigsten Reisepass in der Welt, d.h. wir können weltweit grenzenlos reisen. Warum genießen wir dieses Privilig?

Wir möchten alle ermutigen, selber tätig zu werden. Als Fluchthelfer*in.

Wir sind keine Schlepper, wir kassieren kein Geld, wir unterstützen Menschen bei ihrem Recht auf „Freedom of move“.

Um diese spontane Reise nachträglich zu finanzieren sind wir auf eure Unterstützung angewiesen. Es sind insgesamt 1930€ (Diesel, Maut, Unterkunftskosten, Corona-Tests, zwei Handys, zwei Powerbanks, Kartenmaterial…) angefallen.

Wenn ihr Menschen kennt, die an den Außengrenzen der Festung Europa gestrandet sind und aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommen, beraten wir euch gerne, wie ihr unterstützen könnt.

Vielen Dank für eure Hilfe!

 

Es grüßen euch herzlich

Katja und Matthias

 

 

Grenzenlos - People in Motion e.V., c/o Katja Tempel, Meußließen 2, 29459 Clenze
www.grenzenlos-people-in-motion.eu
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